Was die gemeine Wildrebe und eine Frocktail-Party mit der Hobbynäherin Rebekka zu tun haben
11.06.2024
Seit wann nähst du und was hat dich dazu inspiriert?
2017 habe ich angefangen «richtig» zu nähen, das heisst mit Plan, Ziel und Schnittmuster. Zu dem Zeitpunkt hatte ich eine alte Bernina und konnte sie bedienen, hatte aber ausser Kissenbezügen oder Änderungen von Hosen (Spickel einnähen und Hosenbein verlängern für meine langen Teenagerbeine) nie etwas Grösseres genäht.
Mit dem ersten Kind 2016 hat sich mein Alltag stark verändert und ich sehnte mich nach einem kreativen Hobby, das ich in das neue Leben mit Familie integrieren kann. So habe ich mich für eine erste Babyhose an die Nähmaschine gesetzt und sitze da seitdem sehr regelmässig.
Dass ich mir mal genau das nähen kann, was ich tragen will, auf meinen Körper angepasst – davon habe ich am Anfang nicht zu träumen gewagt.
Du nähst vorallem Nachts, was machst du beruflich und hast du noch andere Hobbys?
Meine Tage sind voll mit Arbeit, Familie, Sport, Freunden – die Abende nach 9 Uhr sind Hobbyzeit, (fast) gleichzusetzen mit Nähzeit.
Beruflich bin ich Umweltchemikerin und beurteile Risiken für die Umwelt ausgehend von Bioziden und Pflanzenschutzmittel. Ich mag meinen Job sehr und würde diesen nicht gegen eine Arbeit im Bereich Nähen oder Mode tauschen wollen.
Das Nähen ist der perfekte Ausgleich für mich! Stricken und Siebdruck würde ich auch gern mal ausprobieren, dafür reicht aber die Zeit nicht im Moment.
Ach und Sport würde ich nicht als Hobby bezeichnen, das muss halt einfach sein.
Du bist 1.80m gross. Welche Anpassungen nimmst du vor und wie hast du dir dieses Know-How angeeignet?
Ja, richtig, ich verlängere immer gleich alle Schnittmusterteile von Anfang an. Mit der Zeit habe ich gelernt, wo ich etwa wieviel Länge brauche. Länge zugeben ist nicht besonders schwierig, oft gibt es dazu Infos in der Nähanleitung und Linien im Schnittmuster, die anzeigen, wo man verlängern muss (oder verkürzen).
Für andere Anpassungen, wie z.B. für meine eher gerade und nach vorne geneigte Schulter, brauchte ich länger, bis ich die richtigen Anpassungen gefunden habe. Dafür habe ich mich vor allem online auf Blogs schlau gemacht. Manches lerne ich auch im Austausch mit anderen Nähbegeisterten auf Instagram!
Kaufst du Stoffe im Lieblingsgeschäft oder Online? Kennst du Tricks, wie der Online-Kauf kein «Fail» wird?
Ich kaufe sowohl online wie auch vor Ort, und in der Regel zu viele Stoffe:-)
Online gibt es in Europa Stoffläden, die es so in der Schweiz nicht gibt – z.B. mit ganz vielen Deadstock-Stoffen, die mag ich gern. Deadstock-Stoffe sind Stoffe, von grossen Designerinnen und Designern, die von vorangegangenen Kollektionen übrig bleiben.
Inzwischen kann ich mir recht gut vorstellen, wie ein Stoff sich verhält und anfühlt, wenn ich die Art des Stoffes (Jersey, Sweat, Poplin, Jaquard, Viskose, Twill etc), das Stoffgewicht (in g/m2 bzw gsm) und die Zusammensetzung kenne. Und gute Fotos braucht es.
Natürlich passieren aber auch mir ab und zu Fehlkäufe. Beim online Stoffkauf muss man sich unbedingt vorher überlegen, was für ein Projekt man damit umsetzen will, und welche Eigenschaften ein Stoff für dieses Projekt braucht.
In der Schweiz habe ich meine Lieblingsläden, die ich ab und zu besuche. Das Atelier Goldfaden in Bern finde ich den schönsten und besten Laden!
Und wenn ich in auf Reisen bin, gehe ich meistens in die Stoffläden vor Ort – Stoffe sind die schönsten Souvenirs.
Nähst du erprobte Schnittmuster mehrmals oder probierst du lieber neue Muster aus? Worauf legst du bei der Schnittmuster-Auswahl Wert?
Zugegeben, ich probiere sehr oft neue Schnittmuster aus, ich bin da einfach neugierig. Ich nähe nicht nur, damit ich etwas anzuziehen habe. Der Prozess interessiert mich, oft lerne ich neue Techniken, wenn ich neue Schnittmuster ausprobiere.
Wenn ich aber ein Schnittmuster richtig gut finde, dann nähe ich es mehrmals – immer mit leichten Modifikationen, denn ich brauche nicht mehrere gleiche Kleidungsstücke im Kleiderschrank. Die meisten TRENDSCHNITTE habe ich mehrmals genäht, wie die No60 Hose mit Rückenelast und die No65 Hose mit Taschen je drei Mal. Die sind einfach alle richtig gut!
Am liebsten probiere ich neue Schnittmuster aus, wenn der Stil mir gefällt und ich das Label bereits kenne und weiss, dass die Schnittmuster gut gemacht sind.
Wie sehr beeinflussen dich aktuelle Trends und Entwicklungen aus der Modewelt? Wo holst du dir deine Inspiration?
Ich mag Mode! Die Trends verfolge ich aus Interesse, kaufe mir ab und zu eine Vogue, schaue die Modeschauen mit den aktuellen Kollektionen gewisser Designer an. Manchmal blättere ich durch die Seiten von Webshops mit high-end Mode oder gehe in Läden mit Kleidern von coolen Labels. Oder schaue auf der Strasse… und auf Instagram natürlich.
Wenn mir etwas besonders gefällt, fliesst es irgendwann in mein Nähen ein. Das muss nicht unbedingt ein grosser Trend sein, es kann auch ein kleines Detail an einem Kleid oder einer Hose sein, dass ich dann umsetze.
Mein Stil ist nicht in Stein gemeisselt, ich probiere gerne Neues aus, kombiniere gerne verschiedene Stile im gleichen Outfit, und lasse mich von meiner Mode-Neugierde leiten.
Du möchtest Hosen nähen, die dir passen?
Dann hol dir den Hosen-Guide für 0 CHF.
Da zeige ich dir, wie du dein Schnittmuster individuell anzupassen kannst.
✂️ zum Hosen Guide für Schnittanpassung
Du nähst auch Outfits für besondere Anlässe. Wie gehst du vor? Was ist eine Frocktail-Party und warum du grosse Lust auf eine solche Party hast?
Oh, die Outfits entstehen meist sehr spontan und ohne Planung, das sind fast meine liebsten Projekte! Da kann ich mich austoben! Eigentlich brauche ich nur einen schönen Stoff und dann kommt die Idee von alleine.
Frocktail kommt von «frock» (Kleid, Ausgehkleid, Gehrock) und «cocktail» und wird in mehreren Ländern von der Nähcommunity durchgeführt. Die Idee ist: Eine Party, man trifft sich, man trägt was festliches/schönes/ausgefallenes Selbstgemachtes.
Ich wäre sofort dabei bei den Swiss Frocktails – Ideen für spezielle Outfits habe ich genug, es fehlen mir die Anlässe! Ausserdem wäre es schön, wenn sich die Nähenden der Schweiz mal in einem solchen Rahmen treffen könnten. Allerdings bin ich nicht ganz sicher, ob viele Schweizerinnen und Schweizer für so einen fancy Anlass zu haben wären.
Auf Insta bist du als gemeine_wildrebe bekannt und inspirierst 16.8 Tsd. Follower. Wie kam es zu diesem Namen? Werden dir Kooperationen angeboten?
Es ehrt mich sehr, dass so viele Leute meine Nähsachen sehen wollen – geplant war das nie. Ich schätze die Instagram Nähcommunity sehr, da werde ich auch immer wieder inspiriert.
Mein Name «gemeine Wildrebe» klingt wie ein botanischer Pflanzenname (gewöhnliche wilde Weinrebe), könnte aber auch «gemeine wilde Rebekka» bedeuten. Ich fand das lustig - als ich mit Insta anfing, hatte ich noch nichts mit Nähen am Hut.
So richtige Kooperationen, also mit Entlöhnung, werden mir nicht angeboten. Dafür ist mein Account zu klein. Das interessiert mich auch nicht, ich möchte kein Geld mit dem Nähen verdienen.
Für Schnittmuster oder Stoffe bekomme ich ab und zu Angebote, die nehme ich nur an, wenn ich richtig Lust habe, ein Projekt mit dem Produkt zu machen. Meine Nähzeit ist beschränkt und wertvoll. Das Gute an einem guten Job in der Schweiz: Ich kann mir alles selber kaufen, und muss keine Kompromisse eingehen.
Welche Rolle spielt Netflix in deiner Nähwelt? Lässt du dich beim Netflix-Nähen ablenken, oder kannst du die Konzentration halten?
Haha, ich habe euch erzählt, dass ich Netflix schaue zum Nähen! Das stimmt, aber geht natürlich nur wenn erstens - das Projekt nicht zu schwierig und zweitens - der Film/die Serie nicht zu gut ist. Wenn ich Paspeltaschen nähe, schaue ich nichts dazu.
Wenn ich einen guten Film schaue, kann ich nicht nebenbei nähen. Seichteres Zeug, ob Chick Flick oder Krimi, lassen sich aber prima mit Nähen kombinieren. Und manchmal höre ich auch Radio oder Podcasts ...im Fall.
Du nähst anspruchsvolle Stücke, schneidest routiniert Karo-Muster zu und liebst grosse Näh-Projekte. Gibt es da noch einen Angst-Gegner?
Nach dem Karo-Trendschnitt Blazer No 46 habe ich alles gesehen, haha! Noch mehr in die Welt des «Tailoring» einzutauchen finde ich im Moment für mich nicht nötig.
Nähen ist für mich auch Entspannung und Kreativsein, es muss nicht immer herausfordern.
Etwas, woran ich mich bisher nicht getraut habe: Ein Lederbustier (meine Schwester wünscht sich eines). Spannend fände ich auch, selber Stoff zu plissieren und dann damit etwas zu nähen.
Was wünschst du dir für deine Näh-Zukunft und welche Pläne verfolgst du?
Hoffentlich behalte ich meine Leidenschaft fürs Nähen und Kreieren! Meine Nähpläne sind meist eher kurzfristig, ich mache auf was ich gerade Lust habe.
Langfristig mache ich mir keine grossen Gedanken – ausser dass ich langfristig wohl mehr für Freunde und Familie nähen werde, denn mein Kleiderschrank ist nicht beliebig ausbaubar. Aber auch da gilt: Ich nähe nur, was mich «gluschtet».
Über welche Schweizer Näh-Ikone würdest DU gerne mehr erfahren?
Mirjam von meinem Lieblingsstoffladen Atelier Goldfaden Bern
Diese Blog-Artikel könnten dir auch noch gefallen:
Keine Angst mehr vor Hosenreissverschluss einnähen - so funktioniert's garantiert!
Körpermasse messen? Mit einer Freundin geht's richtig gut.
„«Ich bin Wilma Brunner, nähe seit fast 20 Jahren und bin seit 8 Jahren begeisterte TRENDSCHNITT-Näherin. Ich habe bei Susanne den Lehrgang Mode & Design und einige darauf folgende Ateliers besucht. Inzwischen bin ich Bloggerin bei TRENDSCHNITT, betreue den Pinterestaccount, beantworte im Onlinekurs Hosen-Heldin Community-Fragen und unterstütze Susanne bei neuen Schnittmuster. Mit meinem Mann und zwei Töchtern lebe ich in der Schweiz, bin ein absoluter unifarben-Fan, mag Farbexplosionen, aber (leider) keinen Kaffee ;-)» Wilma Brunner