Atelier Goldfaden - der nachhaltige Stoffladen in Bern
20.10.2024
Seit wann nähst du und was hat dich dazu inspiriert?
Dieses Jahr feiere ich mein 10-jähriges Nähjubiläum! Damals, an Weihnachten 2014, hat mir mein Freund eine Nähmaschine unter den Weihnachtsbaum gelegt.
Ein Volltreffer!
Mein erstes Projekt war eine Pyjamahose, die allerdings nicht wirklich gelungen ist. Die Nähmaschine war leider nix, und ich habe sie bald zurückgegeben, weil sie nicht richtig funktioniert hat.
Was sehr wohl noch in meinem Leben ist, ist mein Freund, der nun mein Lebenspartner und Vater unserer Kinder ist.
Heute nähe ich auf einer alten mechanischen Nähmaschine. Die kann alles, was ich brauche und ist unkaputtbar.
Du bist Näh-Quereinsteigerin. Welchen Beruf hast du an den Nagel gehängt?
Ich habe deutsche und englische Literatur studiert und danach Sprachen unterrichtet. Die Kreativität und das Arbeiten mit den Händen haben mir aber sehr gefehlt.
Als ich dann das Nähen für mich entdeckt habe, war der Fall klar. Das wollte ich auch beruflich machen.
Du hast an der Textilfachschule Fashion Spezialistin abgeschlossen. Was hat dich motiviert?
Ich wollte meine Liebe zum Nähen zum Beruf machen und mir fundierte Branchenkenntnisse aneignen. An der Textilfachschule konnte ich mich intensiv mit Nähen, Schnitttechnik, Modell-Entwicklung, Material- und Stoffkenntnissen auseinandersetzen.
Wovon ich nach dem Abschluss meiner Ausbildung geträumt habe?
Ich wollte Schnittmuster entwerfen, eigene Kollektionen gestalten und habe mir Gedanken über ein Design-Studium gemacht.
An erster Stelle stand allerdings immer die Suche nach schönen und nachhaltigen Stoffen. Da ich diese in den Schweizer Läden nicht finden konnte, musste ich grösser einkaufen und so haben sich zuhause bald ganze Stoffballen gestapelt.
Ich habe schnell gemerkt, dass ich mit meinem Wunsch nach Erwachsenen-Stoffen aus guter Produktion nicht allein bin. So ist mein Onlineshop entstanden.
Entweder-oder-Fragen an Mirjam rund um die Näherei:
In deinem Geschäft ist Nachhaltigkeit grossgeschrieben. Was bewegt dich?
Unser Planet, die Menschen und die Natur liegen mir am Herzen. So war für mich immer klar, dass ich nur Produkte verkaufen kann und will, die die Kriterien fair und nachhaltig erfüllen.
Leider ist die Transparenz seitens der Hersteller und Lieferanten nicht immer gewährleistet. Viele Unternehmen rühmen sich damit, im Sinne der Nachhaltigkeit zu produzieren. Dabei sind die Produktionsbedingungen und Lieferketten oft alles andere als nachhaltig und die Marketingkampagnen der Firmen oft leider nur Greenwashing.
Ich recherchiere viel, stelle Fragen und analysiere Prozesse. So finde ich Hersteller, denen ich vertraue und die meine Werte bezüglich Nachhaltigkeit teilen.
Natürlich habe ich auch schon von einer Reise geträumt, um die Produktion von Stoffen gleich vor Ort zu verfolgen, was im Moment aus zeitlichen und familiären Gründen (noch) nicht realisierbar ist. Meine erste Destination wäre die Leinenproduktion in Litauen.
Worauf muss ich achten, wenn ich nachhaltige Stoffe kaufen will?
Für mich gilt das Kriterium: «gut zur Umwelt und zum Menschen». Das GOTS-Bio-Zertifikat deckt meine Haltung und Meinung sehr gut ab.
Allerdings ist «bio» für mich nicht immer die erste Wahl. Es gilt auch da zu differenzieren, was die Sache für Konsumenten und Konsumentinnen nicht einfacher macht.
Es gibt Stoffe, die es kaum aus biologischer Produktion gibt, beispielsweise weil auch im konventionellen Anbau keine Pestizide etc. verwendet werden. So zum Beispiel beim Hanf, der sehr robust ist, wenig Wasser verbraucht und dadurch auch ohne «bio»-Zertifikat nachhaltig produziert wird.
Kommt hinzu, dass eine Zertifizierung viel Geld kostet und für kleine Hersteller nicht finanzierbar ist. Auch wenn sie die Kriterien eigentlich erfüllen würden.
Ich versuche bei meinem Sortiment all das zu berücksichtigen und gebe immer gerne Auskunft über die genauen Herstellungsbedingungen – ob mit Zertifikat oder ohne.
Welcher ist dein Lieblingsstoff und warum?
Ich bin ein absoluter Fan von Tencel bzw. Lyocell. Tencel ist der Markenname und Lyocell ist der Name der Faser.
Für dieses Material wird Holz aus speziell bewirtschafteten, nachhaltigen Wäldern gewonnen. Zudem wird die Chemie, die bei der Produktion anfällt, fast komplett aufbereitet und wieder in den Produktionskreislauf eingeschleust.
Der Herstellungsprozess ist zwar chemisch, aber gut verträglich mit Mensch und Umwelt. Ganz anders, als etwa bei der klassischen Viskoseproduktion, die fälschlicherweise leider oft als nachhaltig und grün verkauft wird.
Von meinem aktuellen Laden-Liebling, ein schwarz-weiss karierter Tencel-Seersucker, ist nur noch ein kleines Reststück vorrätig. Meine Kunden und Kundinnen hat der Stoff wohl auch überzeugt!
Was wäre ein «no-go» Produkt?
Die allermeisten Kunstfasern, zumindest wenn sie nicht recycelt sind. Was man bei mir sicher nicht findet, sind «Wollstoffe», die dann zum Grossteil aus Polyacryl bestehen. Da gibt es so viel schönere Alternativen aus Naturfasern.
Auch beim Nähgarn gibt es unterdessen Alternativen zum Polyester. So freue ich mich ganz besonders über mein Overlock-Garn aus Tencel.
Nie wieder zu wenig Stoff!
Du möchtest Stoff kaufen und weisst nicht, wieviel du brauchst? Dann hol dir den Stoffverbrauch-Pocket-Guide für 0 CHF.
Da zeige ich dir, wie du die richtige Menge an Stoff für Hosen, Kleider, Jacken... berechnest.
✂️ zum Stoffverbrauch-Pocket-Guide
Wie kann ein Flickprojekt gelingen, so dass das Kleidungsstück auch wieder getragen wird?
Ich biete ja diverse Kurse in meinen Lokalitäten an, unter anderem auch Flickkurse, was ganz meinem persönlichen Leitsatz «bio – fair – nachhaltig» entspricht.
Ich selbst liebe das Flicken von Hosen mit der Sashiko-Methode (japanische Reparatur-Technik). Wichtig ist aber sicher, zuerst zu prüfen und zu entscheiden, ob sich das Flicken wirklich lohnt. Wenn nicht, ist es vielleicht sinnvoller, das Stück zu zerlegen und die Einzelteile wiederzuverwenden. Dafür haben wir im Laden eine Restetonne, deren Inhalt zum Ausprobieren, für Probeteile, als Taschenfutter oder eben zum Flicken verwendet werden.
Mir selbst schwebt das Verweben der Resten zu einem neuen Stoff oder Teppich vor… mal schauen, vielleicht wird sogar einmal ein Workshop aus dieser Idee.
Welche Kriterien muss ein Stoff erfüllen, damit er in dein Secondhand-Sortiment aufgenommen wird?
Stoffe, die ich bei mir im Atelier Goldfaden Seconhand verkaufe, sollten mindestens 0.5 m lang sein und für Erwachsenen-Bekleidung taugen. Kunden und Kundinnen, die an einem bereits gekauften Stoff keinen Gefallen mehr finden, geben ihn in den Secondhand-Verkauf und freuen sich, wenn er an einem anderen Ort ein neues Leben bekommt.
Andere Kunden und Kundinnen freuen sich dann über die besonderen Schätze im Secondhand-Regal. Manche suchen auch einfach einen günstigen Stoff für ein Nesselteil. Alle Einnahmen aus dem Second Hand Verkauf spende ich «Fashion Revolution», die weltweit grösste Bewegung für ethische Mode www.fashionrevolution.ch.
So tun wir gleich auf doppelte Weise etwas für eine bessere und kreislauffähige Textilindustrie.
Wie sieht deine Garderobe aus? Alles selbstgenäht, oder kaufst du dir auch bestimmte Stücke dazu?
Ich kaufe mir Socken und Unterwäsche, alles andere nähe ich selber. Obwohl ich auch Socken und Unterwäsche schon selbst genäht habe. Bei Unterwäsche hat das gut funktioniert, bei den Socken weniger.
Generell möchte ich nur nähen, was ich lange und mit viel Freude tragen werde. Deshalb versuche ich, meine Nähprojekte gut zu planen. Ich setze auf langlebige Stoffe, wähle für mich passende Farben aus und nehme mir Zeit für Anpassungen, so dass das Kleidungsstück dann auch wirklich sitzt.
Das ist manchmal gar nicht so einfach, deshalb bieten wir zu den Themen Farbe, Stil und Schnittmusteranpassungen auch Kurse an.
Wenn du selbst ein Stoff wärst, welcher wäre es und warum?
Ich wäre ein Denim, am liebsten aus Hanf, so wie der Originaljeansstoff: zeitlos, langlebig und total strapazierfähig.
Gibt es Zukunftspläne und Visionen für dein Atelier Goldfaden?
Ich werde weiterhin auf meiner Linie bleiben und mein Sortiment nach den Kriterien «nachhaltig und fair» gestalten. Persönlich möchte ich mich auch aktivistisch noch mehr für eine faire Textilindustrie und einen bewussten Modekonsum einsetzen.
Ausserdem möchte ich noch mehr Hintergrundwissen über Stoffe und nachhaltige Produktion weitergeben, mein absolutes Lieblingsthema. Vielleicht gibt es dazu einmal einen Goldfaden-Kurs – online, offline, oder beides.
Was ich als Interviewerin, Mitarbeiterin von Trendschnitt und begeisterte Hobbynäherin von meinem Besuch im Atelier Goldfaden mitnehme:
Ich bin voll motiviert, nachhaltiger zu werden. Obwohl, ein paar Sachen mache ich schon gut … habe ich bemerkt. Ich kaufe nicht planlos und auf Vorrat Stoff ein, sondern weiss, was ich nähen will und wieviel Material ich effektiv benötige.
Und dann bin ich definitiv ein Fan von Mirjam und ihrem Geschäft geworden. Ihre Philosophie hat mich beeindruckt, angesteckt und wird mich sicher weiterhin in meinem kreativen Schaffen beeinflussen.
Die Stoffauswahl entspricht mir total. Und ja, natürlich habe ich auch ein bisschen Geld ausgegeben. Ein Leinen-Baumwoll-Gemisch in Jeansoptik wird mich an unser inspirierendes Interview erinnern. Fazit: Unbedingt vorbeigehen, Mirjam persönlich kennenlernen, Goldfaden-Luft schnuppern und «bio – fair – nachhaltig» einkaufen. Ich tu’s auf jeden Fall wieder.
Diese Blog-Artikel könnten dir auch noch gefallen:
Keine Angst mehr vor Hosenreissverschluss einnähen - so funktioniert's garantiert!
Körpermasse messen? Mit einer Freundin geht's richtig gut.
„«Ich bin Wilma Brunner, nähe seit fast 20 Jahren und bin seit 8 Jahren begeisterte TRENDSCHNITT-Näherin. Ich habe bei Susanne den Lehrgang Mode & Design und einige darauf folgende Ateliers besucht. Inzwischen bin ich Bloggerin bei TRENDSCHNITT, betreue den Pinterestaccount, beantworte im Onlinekurs Hosen-Heldin Community-Fragen und unterstütze Susanne bei neuen Schnittmuster. Mit meinem Mann und zwei Töchtern lebe ich in der Schweiz, bin ein absoluter unifarben-Fan, mag Farbexplosionen, aber (leider) keinen Kaffee ;-)» Wilma Brunner